Ratingen. Der radikale Wandel der Mode zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Ausdruck gesellschaftlicher Umbrüche, steht ab dem 25. Oktober im Mittelpunkt der Ausstellung „Die Macht der Mode. Zwischen Kaiserreich, Weltkrieg und Republik“ in der Textilfabrik Cromford in Ratingen. Mehr als 130 Originalkostüme und viele weitere historische Exponate warten auf die Besucherinnen und Besucher und lassen die Zeit zwischen 1900 und 1930 wieder lebendig werden. Die Klassiker der Mode der 1920er Jahre, der sogenannte ‚Stresemann‘ und Charlestonkleider sind ebenso vertreten, wie die Reformkleider der 1910er Jahre, Sportbekleidung für Frauen und ein ausgefallener Staubmantel für Autofahrerinnen.
Eine nie gekannte Modernisierung aller Lebensbereiche hielt die Gesellschaft vor dem Ersten Weltkrieg in Atem. Straßenbahnen, Automobile und Fahrräder versprachen eine neue Form der Mobilität, um aus den Vorstädten und vom Land in die neuen urbanen Zentren der Städte zu gelangen. Hier entstanden mit den Warenhäusern neue Konsumtempel, in denen es alles zu kaufen gab, was das Herz begehrte, wenn man es sich leisten konnte. Auch die Arbeitswelt war in den Strudel der rasanten Veränderungen einbezogen. Immer mehr Frauen arbeiteten nicht nur in den Fabriken, sondern auch in den Telefonzentralen, Kaufhäusern oder Büros, als Lehrerin oder Laborantin. Ob am Arbeitsplatz, beim Einstieg in die Straßenbahn oder auf der Rolltreppe im Warenhaus, vor allem die Frauen waren für die neuen Lebensumstände alles andere als passend gekleidet. Die großen Roben des Kaiserreichs passten nicht mehr in die modernisierte Welt.
Die Schleppkleider verschmutzen schnell und erschwerten beispielsweise den Ein- und Ausstieg in die Straßenbahn, da sich die Röcke in den Rädern und Speichen verfangen konnten. Neue Kleidung und ein neues Bekleidungsschema mussten her und Ideen wurden in den unterschiedlichsten Bereichen entwickelt. Mediziner, Gesundheitsreformer und Vertreterinnen der Frauenbewegung kritisierten schon lange das Korsett als gesundheitsgefährdend. Die Kleiderreform umfasste den Verzicht auf das Korsett und die zahlreichen, schweren Unterröcke. Die Oberbekleidung wurde zweckmäßiger, sachlicher und ließ den Trägerinnen und Trägern mehr Bewegungsfreiheit.
Der Erste Weltkrieg erschütterte die Gesellschaft, führte zu neuen Verhältnissen in der ersten deutschen Republik und hatte ebenso seinen Anteil an den großen Veränderungen des Bekleidungsmusters. Wie bei der Lebensmittelversorgung unterlag auch der gesamte Bereich der Textilien und Kleidung der Kriegswirtschaft, alle Ressourcen wurden für das Militär beschlagnahmt. Der extreme Mangel an Textilien führte zu einem neuen, puristischen Modestil. Auch nach dem Krieg blieb es bei dem sparsamen Einsatz von Stoff in der Modebranche und so avancierte das kleine, kurze Charlestonkleid zu einem modischen „must-have“.
Das LVR-Industriemuseum präsentiert Originalkostüme aus seiner umfangreichen Sammlung zur Geschichte der Mode und Bekleidung. Accessoires, Objekte aus dem Alltag sowie zahlreiche Fotografien ergänzen die Schau. Die Ausstellung zeigt auf, wie die Mode und Kleidung in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auf die rasanten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen reagierten. Die Mode passte sich der sich wandelnden Gesellschaft an, fand neue Formen für einen vereinfachten Kleidungsstil, der den Anforderungen des modernen Lebens entsprach.
Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem LWL-Industriemuseum TextilWerk Bocholt.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog zum Preis von 10 €.
Weitere Informationen gibt es auf www.diemachtdermode.lvr.de.
LVR-Industriemuseum
Textilfabrik Cromford
Cromforder Allee 24
40878 Ratingen
Laufzeit: 25. Oktober 2015 bis 30. Oktober 2016
Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 10–17 Uhr, samstags und sonntags 11–18 Uhr
Eintrittspreise: 5,50 €, erm. 4,00 €, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre haben im LVR-Industriemuseum freien Eintritt.
Besucherinfos und Buchungen von Führungen:
kulturinfo rheinland
Tel.: 02234/9921-555
(Mo-Fr 8-18 Uhr, Sa, So und an Feiertagen 10-15 Uhr)
oder per Mail an info@kulturinfo-rheinland.de
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Junges Mädchen Ende des 19. Jahhrunderts
Das Mädchen trägt die typische Mode des ausgehenden Jahrhunderts: enganliegendes Oberteil mit Stehkragen und engen Ärmeln sowie einen langen Rock. Die schlanke Silhouette lässt vermuten, dass das junge Mädchen ein Korsett trägt.
© LVR-Industriemuseum
Geschwisterpaar in Matrosenkleidung, Anfang des 20. Jahrhunderts
Als Ausdruck patriotischer Gesinnung setzte sich ab 1900 der Matrosenanzug bei Kindern und Jugendlichen durch.
© LVR-Industriemuseum
Drei Radfahrerinnen, Anfang des 20. Jahrhunderts
Ab Ende des 19. Jahrhunderts erfreute sich das Fahrrad bei beiden Geschlechtern wachsender Beliebtheit, allerdings mussten Frauen dafür andere Kleidung anziehen. Als untauglich erwiesen sich das Korsett, da es die Atmung einschnürte, und vor allem der lange Rock.
© LVR-Industriemuseum
Anzeige des Warenhauses Tietz, Anfang des 20. Jahrhunderts
In der Zeit zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik war das Warenhaus der "Ort der Moderne" schlechthin.
© LVR-Industriemuseum
Eng geschnürte Kleider im Sans-Ventre-Stil in der Ausstellung
Foto: Jürgen Hoffmann
© LVR-Industriemuseum
Kinder- und Jugendkleidung aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in der Ausstellung
Foto: Jürgen Hoffmann
© LVR-Industriemuseum
Herrenkleidung aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in der Ausstellung
Foto: Jürgen Hoffmann
© LVR-Industriemuseum
Autofahrerinnen-Mantel mit Schutzbrille und Schutzhaube, 1910er Jahre
© LVR-Industriemuseum
Sportliches Outfit eines Herrn, 1920er Jahre
Insbesondere Jüngere bevorzugten in den 1920er Jahren eine legere Kleidung und verzichteten gerne, wenn möglich, auf den strengen Herrenanzug
© LVR-Industriemuseum
Typisches Charlestonkleid mit Federboa, Mitte der 1920er Jahre
© LVR-Industriemuseum
Eleganter Herrenanzug, als „Stresemann“ bezeichnet, 1920er Jahre
Den Anzug, bestehend aus einem schwarzen Jackett, Weste und grau-schwarzgestreifter Hose, nannte man in den 1920er Jahren nach dem deutschen Politiker und Staatsmann Gustav Stresemann.
© LVR-Industriemuseum