Engelskirchen. Trug die typische Frau in der Zeit des Nationalsozialismus Dirndl, am besten mit Gretchenzopf? Oder kleidete sie sich elegant wie Zarah Leander? Wie sah die Kleidung der 1930er und 1940er Jahre aus? Die NS-Zeit ist so gut wie keine andere historische Epoche erforscht, aber mit der Frage nach der Kleidung hat sich bislang kaum jemand befasst. Aus diesem Grund sind viele Mythen entstanden: Trachten und jede Menge Uniformen gelten als typisch. Dass dies aber lange nicht alles war, zeigt die Ausstellung Glanz und Grauen – Mode im ‚Dritten Reich‘, die bereits in der Textilfabrik Cromford und der Tuchfabrik Müller des LVR-Industriemuseums sowie im LWL-Industriemuseum TextilWerk Bocholt ein großer Erfolg war, vom 3. April bis zum 30. Oktober 2016 im LVR-Industriemuseum Kraftwerk Ermen & Engels.
Die Ausstellung präsentiert auf über 400 Quadratmetern über 100 Originalkostüme und Fotos, Modegrafiken, Zeitschriften, Kinderbücher und Spielzeug. Zu sehen sind die Kleidung im All-tagsleben, die Uniformen des Bundes deutscher Mädel und der Hitlerjugend, aber auch die „Kluft“ der widerspenstigen Jugendlichen, der Swings und der Edelweiß-Piraten. Die Spannweite der Exponate ist groß: So stehen in der Ausstellung seidene Abendroben und raffiniert garnierte Kleider neben einfacher Alltags- und Berufsgarderobe, Kleidern aus Ersatzstoffen und solchen der Notkultur. Die Schau reicht bis hin zu kurzen Cordhosen, karierten Hemden, Pullundern, bestickten Kleidern, Kitteln und Spielhöschen für die Kleinen.
Trugen die Menschen, was ihnen gefiel oder beeinflusste das Regime die Auswahl und die Art der Kleidung? Einerseits unterlag Mode auch während des Nationalsozialismus internationalen Einflüssen: Die Filmstars glänzten mit langen Kleidern, edlen Stoffen und aufwendigen Schnit-ten. Andererseits waren Rohstoffe knapp und Textilien Mangelware; die Nazis verordneten Spinnstoffsammlungen und Kleiderkarten. Schließlich diente Kleidung auch der Ideologie von „Volksgemeinschaft“ und Rassismus: Die Uniformen für Parteiorganisationen, aber auch Par-teiabzeichen oder die Plaketten für Winterhilfsdienst-Spender schufen eine sichtbare Einheit und demonstrierten: Wir gehören zur „Volksgemeinschaft“. Die Regierung diktierte anderseits „Judensterne“ als textile Kennzeichen für eine ganze Bevölkerungsgruppe, die sie ausgrenzte.
Die Nazis versuchten, die Materialknappheit auch durch Enteignung der Juden zu lindern. Die beschlagnahmte Kleidung wurde – als „Kleidersammlung“ getarnt – regimetreuen „Volksge-nossen“ zur Verfügung gestellt. Deutsche Soldaten beuteten die besetzten Gebiete aus und sandten Kleidung in großen Mengen nach Hause. Im Zusammenhang mit der Materialknappheit stand auch die Schuhlaufstrecke im KZ-Sachsenhausen: Deren Häftlinge mussten den ganzen Tag in unpassendem Schuhwerk im Kreis laufen, um neue Materialien für Schuhsohlen zu testen – und wurden dabei häufig gesundheitlich zu Grunde gerichtet.
Die Ausstellung entstand aus einer Kooperation des LVR-Industriemuseums Textilfabrik Cromford in Ratingen mit dem Institut für Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft der Phi-lipps-Universität Marburg. Innerhalb des zugrunde liegenden Forschungsprojektes wurden Zeitzeugen befragt, Quellen gesichtet und textile Objekte untersucht. Viele Menschen aus dem Rheinland kamen der Aufforderung nach, Kleidung aus der Zeit zur Verfügung zu stellen. Zahl-reiche private Spenden bereicherten die umfangreiche Sammlung des LVR-Industriemuseums zur Mode- und Kostümgeschichte der 1930er und 1940er Jahre. Die früheren Besitzer brachten mit den Kleidern Fotos, Erfahrungen und Geschichten mit ins Museum, durch die nicht nur die Politik des Regimes, sondern auch die vielfältige Perspektive der ‚kleinen Leute‘, der Be-herrschten, dokumentiert und sichtbar gemacht werden konnte. Die Ausstellung markiert zudem das Ende einer Ära, denn zukünftig wird die Geschichtsschreibung im Dialog mit den Zeitzeugen kaum noch möglich sein.
Das Forschungsprojekt wurde von der VolkswagenStiftung gefördert.
Zur Ausstellung ist eine Begleitpublikation erschienen, die für 9,95 € im Museumsshop erhältlich ist.
Glanz und Grauen – Mode im „Dritten Reich“
LVR-Industriemuseum
Kraftwerk Ermen & Engels
Engels-Platz 2
51766 Engelskirchen
Laufzeit: 3.4.2016 – 30.10.2016
Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 10 – 17 Uhr, samstags und sonntags 11 – 18 Uhr, 1. Mai, Pfingstmontag und Tag der Deutschen Einheit geschlossen
Eintrittspreise: 6 €, erm. 5,50 € (Kombiticket mit Denkmalpfad). Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre haben im LVR-Industriemuseum freien Eintritt.
Besucherinformationen bei
kulturinfo rheinland
Tel.: 02234/9921-555 (Mo-Fr 8-18 Uhr; Sa, So und an Feiertagen 10-15 Uhr)
Fax: 02234/9921-300
Die folgenden Bilder dürfen nur zu redaktionellen Zwecken im Rahmen der Berichterstattung über die Ausstellung "Glanz und Grauen" des LVR-Industriemuseum genutzt werden und müssen den Copyright-Hinweis „© LVR-Industriemuseum“ tragen. Der Abdruck ist honorarfrei. Wir bitten jedoch um ein Belegexemplar. Eine gesonderte Verwendung der Fotos ist nicht erlaubt.
Uniform und streng geschnittene Kostüme prägen bis heute das Bild von der in der NS-Zeit getragenen Kleidung, 1930er/40er Jahre
© LVR-Industriemuseum
Foto: Jürgen Hoffmann
Pullover mit Anstecker vom Winterhilfswerk und Rock, Kleid mit Schürze, 1930er Jahre. Die Kombination von Pullover und Rock war vor allem bei Mädchen und jungen Frauen beliebt. Um Kleidung zu schonen, gehörte eine Schürze unabdingbar zur Arbeitskleidung.
© LVR-Industriemuseum
Foto: Jürgen Hoffmann
Abendkleid aus Goldlamee mit Fuchskragen, frühe 1930er Jahre.
© LVR-Industriemuseum
Foto: Jürgen Hoffmann
Schuhe der Firma Salamander. Die eingesetzten Materialien wurden auf der Schuhlaufstrecke im KZ-Sachsenhausen erprobt, wo die Häftlinge den ganzen Tag in unpassendem Schuhwerk im Kreis laufen mussten – und dabei häufig gesundheitlich zu Grunde gerichtet wurden.
© LVR-Industriemuseum
Foto: Jürgen Hoffmann
Deutsche Modenzeitung, 1939. Frauenzeitschriften wie diese zeigen, dass die Mode der Zeit nicht nur traditionell und deutschtümelnd war.
© LVR-Industriemuseum
Vierte Reichskleiderkarte (gültig vom 1.1.1943 bis zum 30.6.1944). Ab November 1939 gab es die meisten Textilien nur noch mit der „Reichskleiderkarte“. Die Kleiderkarten waren Bezugscheine für Kleidung. Textilien waren somit streng rationiert, um in Zeiten knapper Ressourcen die Bevölkerung weiter versorgen zu können.
© LVR-Industriemuseum
Foto: Jürgen Hoffmann
Ab 1941 mussten Juden den Judenstern deutlich sichtbar auf der Kleidung tragen. Dies war einer der letzten Schritte der rassistischen Ausgrenzung vor dem Beginn der Deportation der Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager.
© LVR-Industriemuseum
Foto: Jürgen Hoffmann
Trachten gelten als typisch für die Zeit des Nationalsozialismus. Die Filme und Bilder zeigen es. Dieses Klischee wird in der Ausstellung hinterfragt.
© LVR-Industriemuseum
Foto: Jürgen Hoffmann