Wohnzimmerschrank mit Schreibeinrichtung, Entwurf: Bruno Paul, Deutsche Werkstätten Hellerau AG, Dresden, 1939, Holz, Glas, Metall, 196 x 145 x 46 cm, Inv.-Nr.: rz 15/53 © LVR-Industriemuseum, Foto: Jürgen Hoffmann
Ziel der 1899 in Dresden-Hellerau gegründeten Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst war die Herstellung formschöner und funktionaler Möbel, die industriell und in hohen Stückzahlen hergestellt und zu erschwinglichen Preisen verkauft werden konnten.
Schon früh hatte sich der Firmengründer und Direktor Karl Schmidt entschieden, moderne Künstler zu engagieren, die ein Möbelsystem für die maschinelle Fertigung entwickeln sollten. Daher entwarfen die Architekten Richard Riemerschmid und Bruno Paul bereits um 1906 bis 1908 für die Deutschen Werkstätten normierte „Maschinenmöbel“, die sachlich und schlicht gestaltet waren und auf einfachen geometrischen und stereometrischen Formen wie Kubus und Zylinder basierten.
Als Reaktion auf die schwierige finanzielle Lage der Privathaushalte nach der Weltwirtschaftskrise 1929, entwickelte Bruno Paul ab 1931 ein System aus zusammenstellbaren „Aufbaumöbeln“. Schrankteile, Regale und Sitzmöbel waren in Form und Maßen aufeinander abgestimmt, so dass der Aufbau der Wohnung in Schritten erfolgen konnte.
Der hier gezeigte Wohnzimmerschrank ist Teil eines Möbelensembles für ein Speise- oder Wohnzimmer, das im Verkaufskatalog der Deutschen Werkstätten von 1936 erstmals angeboten wurde. Es umfasste unter der Typennummer 360 außer dem Schrank auch eine Anrichte und einen runden Ausziehtisch mit vier gepolsterten Stühlen. Alle Teile des Ensembles waren einheitlich mit Kirschholzfurnier und in betont sachlichem Stil hergestellt. Die Möbel konnten einzeln oder als komplette Gruppe erworben werden. Der Schrank war laut Verkaufskatalog 1936 für 439 Reichsmark zu haben, das gesamte Ensemble kostete 825 Reichsmark. Als zusätzliche Erweiterung konnten Armlehnstühle mit Sitzpolster zu jeweils 36 Reichsmark erstanden werden. Die Preise machen deutlich, dass in erster Linie ein bürgerlicher Käuferkreis angesprochen wurde. Ein gelernter Industriearbeiter hätte allein für einen Stuhl seinen gesamten Wochenlohn investieren müssen. Die Deutschen Werkstätten arbeiteten auf Bestellung. Das hier gezeigte Exemplar des Schrankes war mitsamt den restlichen Teilen des Ensembles mit vier Stühlen, Ausziehtisch und Anrichte von einem Privatkunden in Köln-Nippes bei den Deutschen Werkstätten in Auftrag gegeben worden. Eine erhaltene Rechnung von August 1939 beziffert die Gesamtherstellungskosten auf 881 Reichsmark und 10 Pfennige – der Preis war im Vergleich zu 1936 also etwas gestiegen.
Die Maße des Schrankmöbels Modell Nr. 306/1 sind auf die eingeschränkte Raumsituation einer bürgerlichen Mietwohnung abgestimmt. Bruno Paul vereinte in seinem Entwurf drei verschiedene Schranktypen: einen Vitrinenschrank für das „gute“ Geschirr, dekorative Keramik und Gläser, einen Schreibschrank als Ersatz eines Sekretärs und einen Geschirrschrank.
Als Material wurden für den Möbelbau typische Hölzer verwendet. Die Außenflächen bestehen aus dem gelblichweißen Splintholz der Vogelkirsche, das mit der Zeit zu einem warm wirkenden, hellen Goldgelb nachgedunkelt ist. Das Blindholz unter der Furnierschicht ist Gabun-Holz (auch: Okoumée), das aus Afrika importiert und zu Sperrholzplatten verarbeitet wurde. Der Innenschrank hinter dem Vitrinenglas und in der Schreibeinrichtung wurde aus sehr hellem, fast weißem Ahorn gefertigt.
Die Deutschen Werkstätten (DeWe) in Hellerau bestehen bis heute. Nach der Gründung der DDR war das Unternehmen zunächst in Volkseigentum übergegangen und stellten variable Möbelmodulsysteme nach Entwürfen von Rudolf Horn und des Gropius-Schülers Franz Ehrlich her. 1991 wurden die Deutschen Werkstätten reprivatisiert.
Weitere Informationen zur Ausstellung „nützlich & schön. Produktdesign 1920-1940“
Holger Klein-Wiele
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