Kaftan für Männer, um 1970, Wolle, Baumwolle, 132 x 70 cm, Inv.-Nr.: ra 17/93 © LVR-Industriemuseum, Foto: Jürgen Hoffmann
Die Hippies suchten nach alternativen Lebensformen und wollten auch ihre Körper vom gesellschaftlichen Normenkorsett befreien. Alternativen fanden sie in der Kleidung nicht-westlich geprägter Kulturen, die häufig als naturnah und ursprünglich verklärt wurden.
In den 1960er Jahren trug der gut gekleidete Herr Anzüge in dezenten Farben, dazu knitterfreie Hemden und Hosen mit Bügelfalte. Der abgebildete Kaftan wurde aus einem hochwertigen Anzugstoff mit dezentem grauen Nadelstreifenmuster gefertigt. Durch diese Stoffwahl hätte er eigentlich der klassischen Herrenmode entsprechen können, doch der Kaftan widersetzt sich gründlich den Kleidernormen seiner Zeit. Dies zeigt sich bereits in der ziemlich unorthodoxen Verarbeitung des Kaftans. Anders als konventionell üblich, wurde er nicht längs, sondern quer zugeschnitten und schließt unten ohne Saum direkt mit der Webkante ab. Auch die Verarbeitung der Taschenbeutel ist ungewöhnlich. Sie bestehen aus einem eigentlich völlig ungeeigneten, derben Jeansstoff und wölben sich aufgrund ihrer Festigkeit nach außen.
Es lässt sich heute nicht mehr klären, ob der Träger des Kaftans diese Materialzusammenstellung bewusst auswählte als seine Frau das Gewand für ihn genäht hat. Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass sie eher zufällig zu diesen Stoffen griff, denn in der Hippie-Szene der späten 1960er und der 1970er Jahre war das Selbstnähen sowie die Kombination unterschiedlicher Materialien weit verbreitet.
Der Kaftan ist weit geschnitten und engt den Körper seines Trägers weder durch einen engen Kragen noch durch ein schmales Hosenbein oder eine steife Schulternaht ein. Er kann also als Symbol für den befreiten, natürlichen Körper gelesen werden. Obwohl sich der Schnitt des Kaftans an der Galabiya, dem traditionellen Männergewand des arabischen Kulturraums, orientiert, wird er in der BRD wohl eher als Kleid und damit als Affront gegen die konventionellen Vorstellungen von Männlichkeit wahrgenommen worden sein. Aus westlicher Perspektive lösen sich im Kaftan also die Grenzen zwischen der geschlechtsspezifischen Mode und damit im übertragenden Sinn zwischen den Geschlechtern auf.
Weitere Informationen zum Ausstellungsprojekt „Mode 68 – Mini, sexy, provokant“
Autorin: Natalie Linda
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