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Nyltest-Hemd

1964 – 1970

Weißes, gefaltetes Hemd mit Papierumschlag

Herrenhemd „Nyltest“, 1964 - 1970, Deutsche Rhodiaceta AG, Rottweil, Deiters & Co. Bremen, Nylon, 50 x 26 x 7 cm, Inv. Nr.:-rz 07/2505 © LVR-Industriemuseum, Foto: Jürgen Hoffmann

Nyltesthemden sind schon lange aus den Kleiderschränken verschwunden. Dennoch gehören sie zu den meist erinnerten Kleidungsstücken der 1950er und 1960er Jahre.


Nyltesthemden sind vermutlich mit äußerst ambivalenten Erinnerungen verknüpft. Einerseits war es das moderne Kleidungsstück schlechthin, das für den grenzenlosen Fortschritt der Zeit stand, andererseits das gefürchtete Stück, das für Schweiß, unangenehmen Körpergeruch und peinliche Gefühle verantwortlich war.


Das Nyltesthemd galt als modern: Es ließ sich zu 100 Prozent aus dem noch neuen vollsynthetischem Material Polyamid herstellen und hatte Eigenschaften, die den bisher üblichen Naturfasern, vor allem der Baumwolle, weit überlegen schienen. Kleidungsstücke aus Polyamid waren pflegeleicht, ließen sich leicht und schnell waschen, trockneten sehr schnell an der Luft und waren „garantiert bügelfrei“. Außerdem versprachen sie das „frische weiß(e)“ Aussehen, das noch bis Mitte der 1960er Jahre das gesellschaftliche Ideal verkörperte.


Darüber hinaus entsprach es der Vorstellung vom unendlichen und ungebremsten Konsum, dass der Rohstoff in unendlicher Menge verfügbar war. Das Hemd stand für Fortschritt und Tempo und wurde damit zum Symbol der Konsumgesellschaft. Die Hemden entpuppten sich zunächst zum Verkaufsschlager.


Der Enthusiasmus der ersten Jahre wurde schnell getrübt. Im Sommer schwitzte man in diesen Hemden, im Winter wärmten sie nicht und sie wurden in kürzester Zeit gelb. Zunächst scheinen sich viele mit den negativen Folgen abgefunden zu haben. In einer Gesellschaft, die mit größtem Mangel gelebt hatte, war es noch schwer vorstellbar, dass man Kleidungsstücke, die noch heil sind, einfach wegwirft. Und kaputt gingen diese Synthetikhemden einfach nicht. Selbst die Motten verschmähten sie.


Erst Ende der 1960er Jahre setzte ein Umschwung ein. Das frische, blitzsaubere, glatte, weiße Hemd, das im übertragenen Sinn auch für den sauberen, moralisch unbescholtenen Träger stand, galt plötzlich als spießig und nicht mehr zeitgemäß.


Weitere Informationen zum Ausstellungsprojekt „Mode 68 – Mini, sexy, provokant“


Claudia Gottfried


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