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Herrenhemdhose aus Wolle

um 1900

Helles Unterhemd mit integrierter Hose

Herrenhemdhose aus Wolle, um 1900, Wolle, 100 x 54 cm, Inv.-Nr.: ra 03/489 © LVR-Industriemuseum, Foto: Jürgen Hoffmann

Baumwolle oder Wolle? Welches Material ist für Kleidung besser geeignet und vor allem gesünder? Um diese Fragen führten Ärzte, Naturheilkundler oder Textilfabrikanten einst heftige Debatten.


Mit der Industrialisierung entstanden verschiedene Reformbewegungen, die sich mit Alternativen zu Materialismus und Verstädterung auseinandersetzten. Ziel aller Bewegungen war, den Menschen im Alltag wieder der Natur nahezubringen. Neben der Reformierung der Medizin durch Naturheilkunde, der Ernährung und der Pädagogik stand die Reformierung der Kleidung im Mittelpunkt der Diskussionen.


Unter dem Aspekt der Gesundheit bezogen sich die ersten Reformbemühungen auf die Herrenkleidung und deren Material. Während der Priester und Therapeut Sebastian Anton Kneipp Leinen bevorzugte, gab der Arzt und Naturheilkundler Johann Heinrich Lahmann der Baumwolle den Vorzug. Der Textilfabrikant Gustav Jaeger sah hingegen in Wolle und Wollstoffen die einzig gesunde Art sich zu kleiden.


Prof. Dr. Gustav Jaeger, geboren 1832 in Neuenstadt an der Linde, sollte zunächst, wie sein Vater, Pfarrer werden, studierte aber in Tübingen Medizin. In Wien arbeitete er als Privatdozent der Zoologie und Anatomie bis er 1866 in Stuttgart einen Lehrauftrag an der forstwirtschaftlichen Akademie Hohenheim und dem Königlichen Polytechnikum annahm. Seit den 1860er Jahren untersuchte er den Zusammenhang zwischen Stoffwechsel und Kleidung und kam zu dem Schluss, dass luftdurchlässige Wollkleidung die gesündeste Art sei, sich zu kleiden.


1879 ließ er in der Wirkwarenfabrik Wilhelm Benger Söhne Wollkleidung herstellen, die unter dem Namen „Normal-Kleidung“ in vielen Ländern bekannt wurde. 1883 ließ er sogar die „Dr. Jaeger's Sanitary Woollen System Compagny London“ ins englische Handelsregister eintragen. Ein Jahr später eröffnete er in London ein Geschäft für Jaeger-Gesundheitswäsche. Mit der „Normal-Kleidung“ waren Jaeger und die Firma Wilhelm Benger Söhne, die die alleinige Konzession zur Herstellung hatte, einige Jahre recht erfolgreich.


Auch wenn die Herrenhemdhose des Museums kein Firmenschildchen hat, so ist sie doch ein typisches Beispiel für die von Jaeger propagierte Normal-Unterkleidung. Die Hemdhose ist glatt rechts und aus naturfarbener Wolle fein maschinell gestrickt. Die relativ weit geschnittenen Beine reichen bis zum Knie. Am unteren Beinabschluss befinden sich breite Bündchen. Die Hose wird mit breiten Trägern gehalten und hat einen großen runden Halsausschnitt. Die Schrittnaht ist offen, auf der Rückseite sind überlappende Blenden (Über- und Untertritt) zum Schutz angesetzt.


Eine Anzeige für Normal-Unterkleidung für Damen wirbt 1902 im „Monatsblatt“: „Verfilzt nicht, läuft wenig ein, bleibt porös und elastisch“. Trotz aller Qualitäten hat sich Wollunterwäsche, außer für die Wintersaison, bis heute nicht durchgesetzt.


Weitere Informationen zum Ausstellungsprojekt „1914 – Mitten in Europa“


Regina Weber


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