Euskirchen. Um eine Reise in die Vergangenheit zu machen, benötigt man keine Zeitmaschine. Dieses faszinierende Erlebnis bietet die Tuchfabrik Müller des LVR-Industriemuseums seinen Besucher*innen in der ehemaligen Tuchfabrik Müller in Euskirchen-Kuchenheim. Denn hier fühlt man sich um viele Jahrzehnte zurückversetzt. Als sich 1961 die Geschäfte der seit 1894 bestehenden Fabrik verschlechterten, verriegelte der Fabrikant einfach die Tore und ließ die Produktionsstätte stehen – so, wie sie war. Fast dreißig Jahre schlummerte sie im Dornröschenschlaf, dann wurde sie wieder aufgeschlossen und ist heute ein ungewöhnliches Museum.
Der Rundgang durch die alte Produktionsstätte versetzt in Staunen. Denn alles blieb unverändert: An der Wand hängt ein Abreißkalender mit dem Datum des Tages, als die Maschinen der Fabrik stehenblieben und die Tore geschlossen wurden. An der Tür der Färberei erkennt man noch heute die Kreideschrift von Ludwig Müller, der vor über 40 Jahren ein Rezept für eine Färbelösung daran schrieb. Zigarettenschachteln, ein alter Kaffeepott, haufenweise handgeschriebene Zettel. Alle Dinge vermitteln den Eindruck des letzten Arbeitstags.
Und dann fangen auch die alten Webstühle wieder an zu arbeiten. Die Webschützen sausen hin und her. Aus loser Wolle wird feines Tuch gefertigt. Mächtige Krempelmaschinen kämmen Wolle, filigrane Spinnmaschinen formen einen feinen Garnfaden. An den regelmäßig veranstalteten „Dampfsonntagen“ ist sogar die mächtige Dampfmaschine von 1903 in voller Aktion zu bestaunen.
Die Tuchfabrik Müller des LVR-Industriemuseums ist ein außergewöhnlicher Ort. Sie vermittelt den Eindruck, als ob die Geschichte „selbst“ das Museum eingerichtet habe: Die Maschinen und Werkzeuge, die großen und kleinen Dinge sind da, wo sie schon immer hingehörten. Filme, kleine Installationen und Modelle unterstützen das Erlebnis der Fabrikwelt und erzählen von der Arbeit, von Hitze und Dampf in der Färberei, vom faszinierenden Mechanismus der Transmission mit ihren zahllosen Rädern und Rädchen. Kurze Auszüge aus Interviews mit den ehemaligen Beschäftigten lassen deren Erfahrungen und Gefühle wieder lebendig werden.
1988 übernahm das LVR-Industriemuseum die ehemalige Tuchfabrik Müller. Den Fachleuten bot sich dabei ein Anblick, der Herausforderungen versprach: kaputte Dächer, rostende Maschinen, Spinnweben, Efeu und der Staub von Jahrzehnten. Der einzigartige Gesamteindruck von Gebäuden, Maschinen und vielen tausend Inventarteilen sollte keine Beeinträchtigung erfahren. Trotzdem mussten die Gebäude für die modernen Anforderungen eines Museums hergerichtet werden. Sensibel und liebevoll restauriert präsentiert sich die Tuchfabrik seit dem Jahr 2000 wieder im „gepflegten Gebrauchszustand“ den Besucher*innen und fasziniert durch ihre authentische Atmosphäre.
Im Museumsladen werden die einzigartigen Produkte aus der musealen Produktion zum Kauf angeboten: warme Wolldecken, schöne Taschen und sogar Sakkos, Jacken und Mäntel aus „Müller-Tuch“! Im Neubau befindet sich auch das Museumscafé mit Kaffee und Kaltgetränken, das auch Gruppen Platz bietet (Bedienung auf Anfrage).
So vielseitig wie das Museum ist auch sein museumspädagogisches Programm. Angepasst an die verschiedenen Altersstufen und Schulformen werden zahlreiche Aktionen rund um die Wolle und die Tuchfabrik angeboten: Bälle, Bilder und andere bunte Objekte können gefilzt werden. Auf Webrahmen entstehen außergewöhnliche Kunstwerke. Im Designer-Workshop lassen sich eigene Phantasien in Lieblingskleidung umsetzen. Mehr naturwissenschaftlich-technisch orientiert sind Angebote wie „Färben mit Indigo“, die Bachaktion „Tiere und Pflanzen in und am Wasser“ oder „Mit Wasser und Dampf: Was die Maschinen in der Fabrik antreibt“, wobei auch kleine Modell-Dampfmaschinen angeheizt werden.
Ein großes Ereignis am LVR- Industriemuseum Tuchfabrik Müller ist der traditionelle Rheinische Wollmarkt, der jeweils am ersten Sonntag im Juni stattfindet. Vielfältige Angebote machen diese Veranstaltung zu einem einmaligen Erlebnis: Der Markt mit seinen um 100 verschiedenen Ständen bietet eine breite Auswahl rund um Wolle, Kleidung, altes Handwerk und Design. Außerdem werden Schafe geschoren, Border-Collies beweisen in einer Show ihre Geschicklichkeit als Hütehunde, Spiel- und Mitmachaktionen laden zum Bummeln und Verweilen ein. Auch die kulinarische Seite kommt nicht zu kurz: Köstlichkeiten aus der Eifel sowie rund ums Schaf können probiert und gekauft werden.
Eine Wanderung oder eine Radtour in der ländlichen Umgebung oder der nahen Eifel ergänzt den Ausflug nach Kuchenheim. Zwei ausgeschilderte Radwanderwege (Wasserburgen-Route, Erft-Radweg) kreuzen sich am LVR-Industriemuseum und führen auf reizvollen Radwegen zu den schönsten Natur- und Kulturerlebnissen der näheren und weiteren Umgebung. Das Museum bietet auch einen eigenen Fahrradverleih: Insgesamt 30 hochwertige Räder für Erwachsene und 35 Räder für Jugendliche können für eine kleine Gebühr gemietet werden.
Das Museumsgästehaus Mottenburg ist für Schulklassen und Jugendgruppen ein ganz besonderer außerschulischer Lernort. Während des erlebnisreichen drei- bis fünftägigen Aufenthalts lernen nicht nur die Tuchfabrik kennen, sondern auch wie in vorindustrieller Zeit Tuche hergestellt wurden. Durch eigenes Spinnen, Weben etc. erfahren sie handgreiflich, wie viel Arbeit in unserer Kleidung steckt. Firmen, Vereine und Privatpersonen finden hier eine attraktive Möglichkeit zum Tagen und für Feierlichkeiten.
Die Tuchfabrik Müller ist einer von insgesamt sieben Schauplätzen des LVR-Industriemuseums, die im Verbund ein einzigartiges Museums bilden. In zum Teil denkmalgeschützten Fabriken wird am authentischen Ort spannend und anschaulich die Geschichte der Industrie im Rheinland und der dort beschäftigten Menschen erzählt. Dabei stehen die zentralen Branchen Metall, Textil, Papier und Elektrizität im Mittelpunkt. Neben der ehemaligen Tuchfabrik Müller warten auch die anderen Schauplätze darauf, entdeckt zu werden: die Papiermühle Alte Dombach in Bergisch Gladbach, das Kraftwerk Ermen & Engels in Engelskirchen, Gesenkschmiede Hendrichs in Solingen, die Textilfabrik Cromford in Ratingen und die Zinkfabrik Altenberg sowie die St. Antony-Hütte in Oberhausen. Hier befindet sich außerdem die Museumszentrale mit Direktion, Verwaltung, Depots, Bibliothek, Fotoarchiv und Werkstätten. Gründer und Träger des LVR-Industriemuseums ist der Landschaftsverband Rheinland (LVR).
LVR-Industriemuseum
Tuchfabrik Müller
Carl-Koenen-Straße
53881 Euskirchen
Dienstag – Freitag 10 – 17 Uhr
Samstag, Sonntag, Feiertage 11 – 18 Uhr
Montag geschlossen
Aktuelle Öffnungszeiten an Feiertagen finden Sie hier
Regulärer Eintritt: 8 €, ermäßigt 4 €
Kinder und Jugendliche (bis 18 Jahre) haben freien Eintritt!
Dienstag – Samstag: 11, 13 und 15 Uhr
Sonntag: 11, 12, 13 14, 15 und 16 Uhr
kulturinfo rheinland
Tel.: 02234 9921-555 (Mo-Fr 8-18 Uhr; Sa, So und an Feiertagen 10-15 Uhr)
Fax: 02234 9921-300
E-Mail: info@kulturinfo-rheinland.de
Die folgenden Bilder dürfen nur zu redaktionellen Zwecken im Rahmen der Berichterstattung über das LVR-Industriemuseum genutzt werden und müssen den Copyright-Hinweis „© LVR-Industriemuseum“ tragen. Der Abdruck ist honorarfrei. Wir bitten jedoch um ein Belegexemplar. Eine gesonderte Verwendung der Fotos ist nicht erlaubt.
Fabrikhof der Tuchfabrik – mit dem 1801 als Papiermühle erbauten Hauptgebäude
© LVR-Industriemuseum
Die Dampfmaschine aus dem Jahr 1903 trieb bis 1961 alle Maschinen an. Ein Mal im Monat – am Dampfsonntag – ist sie in vollem Betrieb zu bewundern.
© LVR-Industriemuseum, Foto: Willi Filz
Ein Maschinenvorführer am Webstuhl. Man kann den lautstarken Betrieb der Webstühle hautnah erleben – und viele Fragen stellen.
© LVR-Industriemuseum
Burgturm und wassergefüllter Graben, beides Überbleibsel der einstigen Wehranlange „Obere Burg“.
© LVR-Industriemuseum