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Grafik St.Antony-Hütte Museum Eisenheim Oberhausen

Deutsche Ausstellungstexte

Die Siedlung Eisenheim

Arbeitersiedlungen zeichnen sich durch eine besondere Art des Zusammenlebens aus und ihre Architektur prägt ganze Stadteile. Für das Ruhrgebiet gelten sie als geradezu typisch und es gibt zahlreiche von ihnen. Die älteste ist die Siedlung Eisenheim. 1846 gegründet erlebte sie eine wechselvolle Geschichte zwischen Aufbau, Zerstörung, drohendem Abriss und der Auszeichnung als Baudenkmal.

Mit der Veränderung der Arbeitswelt und dem Weg ins digitale Zeitalter vollzieht sich jedoch ein Wandel in den ehemaligen Wohnquartieren der Bergleute und Hüttenarbeiter. Auch hier verblassen die Spuren des Industriezeitalters immer mehr.

Die Idee, ein Museum einzurichten, stammt von den Eisenheimern selbst. In einem der leerstehenden Waschhäuser wurden auf Anregung der damaligen Arbeiterinitiative bereits 1979 historische Gegenstände aus den Haushalten gesammelt und ausgestellt. Heute ist die Sammlung des „Volksmuseums Eisenheim“ ein Teil des LVR-Industriemuseums.


Ein Konzern schafft Wohnraum

1758 wurde in der Osterfelder St. Antony-Hütte erstmals Erz zu Roheisen geschmolzen. Rund 80 Jahre später erlebte die Eisen- und Stahlproduktion einen sprunghaften Aufschwung. Auch die „Hüttengewerkschaft und Handlung Jacobi, Haniel und Huyssen“ (JHH) profitierte davon und warb um „tüchtige Meister und Arbeiter rechter Art“. Für sie entstand 1846 die Siedlung Eisenheim.

Als erste wurden die Meisterhäuser für Hüttenfachleute gebaut. In einer zweiten Bauphase von 1865 bis 1872 kamen weitere Häuser hinzu, in die nun auch Bergleute einzogen. Bis 1903 wuchs die Siedlung Eisenheim auf einen Bestand von 51 Häusern mit rund 200 Wohnungen. In ihnen lebten um die 1.200 Menschen.

Unterschiedliche Bautypen prägten die Siedlung, zuerst Doppelhäuser mit zwei Wohnungen, später dann eineinhalbgeschossige Häuser mit vier Wohnungen. Durchzogen wurde die Siedlung von einem öffentlichen Wegenetz sowie Gärten und Ställen. 1911 wurde sogar ein Werkskindergarten eröffnet.


Die Siedler von Eisenheim

Mit der Industrialisierung stieg die Nachfrage nach Arbeitskräften. Als Anreiz bot die Gutehoffnungshütte (GHH), die aus der JHH hervorgegangen war, eigene Wohnungen mit günstigen Mieten und Gärten zur Selbstversorgung. Doch die Siedlungen ermöglichten auch eine soziale Kontrolle, da die Arbeitnehmer gebündelt an einem Ort lebten. Besonders heikel war, dass der Verlust des Arbeitsplatzes auch zum Verlust der Wohnung führte.

In den ersten Jahren zogen Arbeitskräfte aus dem Siegerland, dem Bergischen Land oder der Eifel nach Eisenheim. Um 1900 ließen sich viele Bergleute aus den preußischen Ostprovinzen, dem heutigen Polen, nieder. Nach dem zweiten Weltkrieg kamen Zuwanderer aus Südeuropa und der Türkei.

Mit der Zeit entwickelte sich ein besonderes Gemeinschaftsgefühl. Viele Familien lebten über mehrere Generationen in Eisenheim. Doch es gab auch immer Konflikte und Spannungen. Beide Seiten des Zusammenlebens prägen die Siedlung Eisenheim bis heute.


Alles selbst gemacht

Produkte aus den eigenen Gärten waren lange Zeit lebenswichtig, um die meist großen Familien zu ernähren. Der moderne Massenkonsum von Lebensmitteln existierte noch nicht. Und der Verdienst reichte oft nur für die nötigsten Zukäufe.

Bis zu 400 Quadratmeter groß und umgeben von niedrigen Hecken durchzogen die Gärten die Siedlung. Angebaut wurden Kartoffeln sowie Obst und Gemüse, das gut zu lagern und konservieren war. Sauer eingelegte Bohnen und Weißkohl oder eingeweckte Kirschen und Birnen sorgten für Vitamine. Manche Familie hielt im Stall ein Schwein, das mit Küchenabfällen gefüttert und im Herbst geschlachtet wurde. Auch Ziegen, Kaninchen, Hühner und Tauben trugen zur Versorgung mit Fleisch, Milch und Eiern bei.

Heute dienen viele Gärten rein der Entspannung. Manche werden kaum noch gepflegt. Und die vom Denkmalschutz vorgegebene maximale Höhe der Hecken von 150 cm, die dem Kontakt innerhalb der Nachbarschaft dienen soll, wird zum Schutz der eigenen Privatsphäre gerne einmal überschritten.


Erst die Arbeit, dann das Vergnügen

Freizeit war für viele Menschen lange ein rares Gut, 14 bis 16 Arbeitsstunden am Tag dagegen im 19. Jahrhundert nicht selten. Noch um 1950 galt die 48-Stunden-Woche.

War die Arbeit vorbei, hielt der Alltag weitere Pflichten bereit. Besonders die Frauen kümmerten sich um den Haushalt, die Erziehung der Kinder oder die Pflege des Gartens. Anstrengend waren die Waschtage, die bis weit in die 1950er Jahre manuell bewältigt wurden. Erst danach setzten sich elektrische Waschmaschinen durch.

Während die Männer freie Stunden in einer der nahen Kneipen verbrachten, sich ihren Tauben oder dem Fußballclub widmeten, spielten die Kinder auf der Straße. Den Frauen blieb als freie Zeit meist nur der abendliche Schwatz auf den Bänken vor den Häusern.

Sitzgelegenheiten vor den Häusern findet man in Eisenheim immer noch. Moderne Formen der Freizeitgestaltung haben aber auch hier längst Einzug gehalten, wie man an manchen Satelliten-Fernsehanlagen, Bade-Pools oder gemauerten Grills erkennen kann.


Eisenheim bleibt

Nach dem Zweiten Weltkrieg verfiel die Siedlung. Mehrere Häuser waren zerstört. 1965 wurden die Meisterhäuser abgerissen. Die Hüttenwerke Oberhausen als Eigentümer verloren das Interesse an den veralteten Bauten, die zum Teil nicht einmal an das Kanalnetz angebunden waren. An ihrer Stelle sollte in den 1960er Jahren eine moderne Siedlung entstehen, die nebenbei auch mehr Profit versprach.

Dies rief den Protest der Einwohner hervor. In den 1970er Jahren unterstützten der Kunsthistoriker Prof. Dr. Roland Günter und viele andere den Kampf der Arbeiterinitiative, der wegweisend für die Industriedenkmalpflege im Ruhrgebiet wurde. Wie Eisenheim stehen heute viele Arbeitersiedlungen unter Denkmalschutz.

Bis Mitte der 1980er Jahre wurde die Siedlung saniert. Heute ist sie ein Wohnquartier mit gemischter Nachbarschaft. Arbeiter und Angestellte leben nach wie vor hier. Künstler und Kreative sind hinzugekommen. Hüttenarbeiter und Bergleute sind wie überall im Ruhrgebiet von heute rar geworden.


Mitten im Leben

Fast das ganze Familienleben spielte sich in der Wohnküche ab. Meist drangvoll eng war sie der zentrale Raum im Haus und oft als einziger beheizt. Hier wurde gekocht, gewaschen, gespielt, gelernt und ausgeruht.

Die Einrichtung der ersten Siedler war schlicht. Mittelpunkt war der Kohleherd. Andere Kleinmöbel dienten meist nur einfachen Ansprüchen. Wer es sich leisten konnte, besaß ein Sofa oder einen Buffetschrank mit Glasaufsatz.

In den 1950er und 1960er Jahren hielten erste Elektrogeräte, wie Kühlschränke, Einzug in die Küchen. Ihnen folgten nach der Sanierung der Wohnungen in den 1980er Jahren funktionale Küchenzeilen. Nicht selten aber standen die modernen Geräte neben den altgedienten Möbeln.

Mittlerweile sind viele der kleinen Wohnungen zu einer größeren zusammengelegt. Direkt neben dem Eingang gelegen sind die Küchen auch heute noch Treffpunkt für Familie und Gäste.


Sauber!

Anfangs musste Wasser zum Waschen, Putzen und Kochen aus Brunnen herangeholt werden. Erst in den 1920er Jahren erhielten die Wohnungen fließendes Wasser. An die öffentliche Kanalisation waren nur wenige Häuser angeschlossen. Bis zur Sanierung der Siedlung ab den 1970er Jahren flossen die meisten Abwässer in die Straßenrinnen.

Auch gab es in den Häusern zunächst keine Toiletten oder Bäder. Die Bewohner mussten über den Hofweg zum Plumpsklo in den Stall gehen oder Nachttöpfe benutzen.

Die tägliche Körperpflege wurde an der Waschschüssel absolviert. Meist war am Samstag Badetag. Dazu wurde ein Zinkbottich mit warmem Wasser in die Küche gestellt und ein Familienmitglied nach dem anderen stieg hinein, bis alle sauber waren.

Wäsche wurde ebenso in großen Bottichen in den Küchen gewaschen. Auf den Herden wurden nicht nur Eintöpfe gekocht, sondern auch die Wäsche. Der Begriff „Kochwäsche“ hat sich bis heute in unserem Sprachgebrauch erhalten.


Zwischen Blagen und Kostgängern

Familien um 1900 waren groß. Im Durchschnitt hatten sie vier Kinder, manche Familien jedoch auch deutlich mehr. Und nicht alle Kinder, die geboren wurden, überlebten. Die Kindersterblichkeit in dieser Zeit war hoch.

In den Eisenheimer Wohnungen lebten die Menschen auf engstem Raum. Je nach Haustyp standen 40 bis 55 Quadratmeter Fläche zur Verfügung. Neben der Küche gab es unter dem Dach zwei Schlafzimmer. Mit den Eltern schliefen dort ein oder zwei kleine Kinder, die restlichen nebenan oft in einem gemeinsamen Bett.

Um sich einen Zuverdienst zu verschaffen, nahmen viele Familien zusätzlich unverheiratete Arbeiter als „Kostgänger“ auf. Dies blieb nicht ohne Folgen. Nicht selten gab es Klagen über Saufgelage und unsittliche Annäherungen an die Frauen und Mädchen des Haushalts. Zwar untersagte die GHH das Kostgängerwesen strikt. Doch in Eisenheim fand die Hausverwaltung diese bei Kontrollen immer wieder, in einem Haushalt einmal sogar acht von ihnen.