Stehpult, Tuchfabrik Müller, Euskirchen, um 1870, Holz, 131 x 120 x 108 cm, Inv.-Nr.: eu ko/250 © LVR-Industriemuseum, Foto: Jürgen Hoffmann
"Hier stand Herr Müller und hat kalkuliert, Aufträge bzw. Angebote geschrieben", erinnert sich eine ehemalige Kontor-Angestellte. Der Arbeitsplatz des Chefs der Tuchfabrik Müller in Euskirchen-Kuchenheim zeigt, dass in dem kleinen Betrieb auf Repräsentation und schönen Schein kein großer Wert gelegt wurde.
Das Stehpult ist äußerst schmucklos und schlicht, rein funktional. Auch der 'Hocker' davor – er ist leider nicht mehr vorhanden – hatte wenig Ähnlichkeit mit einem Chefsessel. Herr Müller war immer 'auf dem Sprung'. „Außerdem war der oft nicht da. Je nachdem, wenn was anfiel, dann war der draußen im Betrieb". Im Empfangszimmer seiner Wohnung besaß er allerdings auch einen richtigen Schreibtisch.
Als die Familie Müller das Möbelstück 1894 mitsamt der 'Comptoir-Einrichtung' vom vorherigen Besitzer übernahm, ging die Zeit der Stehpulte allmählich zu Ende. Der Einzug der Schreibmaschinen in die Kontore forderte flache Tische, und auch die in den 1920er Jahren aufkommenden Durchschreibe-Buchungsverfahren ließen sich nicht am Stehpult handhaben. Allerorten wurden die Büros umgeräumt. Nicht so bei Müllers: "Es wurde praktisch immer nach demselben Schema gearbeitet, da wurde nichts verändert, da war auch nichts zu verändern." Also blieb es bis zur Schließung des Betriebes 1961 beim Stehpult und bei der Buchführung in gebundenen Büchern.
Auch wenn die Büroeinrichtung 1961 nicht mehr 'Stand der Technik' war, so verdeutlicht sie doch die Hierarchie im Kontor: Über allem thronte der Chef am Stehpult. Er schaute dem Buchhalter am größeren und dem Lehrling am kleineren Schreibtisch in den Nacken. Und was Herr Müller schrieb und rechnete, konnte nur einer sehen – er selbst.
Angelika Limper
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