Urkunde für ein Preiswettschreiben, 1. Preis für Fräulein A.M. Müller, 1923, Papier, 10 x 15 x 1 cm, Inv.-Nr.: bg 95/455 © LVR-Industriemuseum, Foto: Jürgen Hoffmann
In den 1920er Jahren war es selbstverständlich geworden, dass Frauen im Büro arbeiteten. Dabei hatte erst rund 20 Jahre vorher die „Feminisierung“ des Büros begonnen.
Beim Gießener Stenografenverein, einem der ältesten seiner Art, war 1899 der erste Damenkurs eingerichtet worden. Die Aschaffenburger Zeitung vom 15.9.1900 schrieb dazu: „Da die Erfahrung gelehrt hat, daß unsere weibliche Jugend die Kunst der Stenographie ebenso nutzbringend wie die männliche verwerthen kann, beziehungsweise, daß solche von ihr in gewissen Stellungen gefordert wird, so bietet der hiesige Stenographenverein auch unseren jungen Damen Gelegenheit, die Gabelsberger Stenographie zu erlernen oder weiter zu üben. Zu diesem Zweck eröffnet er demnächst einen Damenkurs.“
Zuvor waren fast ausschließlich Männer als Schreiber, Kopisten oder Handlungsgehilfen im Kontor beschäftigt. Steigende Produktionszahlen und die Ausweitung der Geschäftstätigkeiten brachten ein rasantes Wachstum von Büro- und Verwaltungsaufgaben mit sich. Dies machte einen schnelleren Austausch von Informationen notwendig und führte zu einer zunehmenden Spezialisierung der Bürotätigkeiten, eine Chance für Frauen qualifizierteren Tätigkeiten nachzugehen.
Bereits 1874 konstatierte die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm, dass „die geistige Arbeit und die einträgliche für die Männer, die mechanische und die schlecht bezahlte Arbeit für die Frauen“ sei. Insbesondere junge, unverheiratete Frauen übernahmen die monotonen, sich immer wiederholenden Maschinentätigkeiten, die schlecht bezahlt wurden; den Männern hingegen blieben die besser bezahlten Berufe vorbehalten.
In der Zeit der Weimarer Republik wurde der Satz „Fräulein zum Diktat...“ zum geflügelten Wort zwischen männlichem Chef und weiblicher Sekretärin. Viele Frauen eigneten sich nun zur beruflichen Qualifikation die Stenographie nach der Gabelsbergerschen Methode an. Erlernen der Kurzschrift erforderte nicht nur sprachliche Gewandtheit, sondern auch eine schnelle Auffassungsgabe.
In Schreibwettbewerben der zahlreichen Stenografenvereine konnten die Sekretärinnen dies unter Beweis stellen. So gewann Fräulein A. M. Müller aus Wetzlar 1923 den ersten Preis im Preiswettschreiben in Lollar mit einer Geschwindigkeit von 60 Silben in der Minute.
Beatrix Commandeur
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