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Alle Standorte des LVR-Industriemuseums haben am 1. Mai von 11-18 Uhr geöffnet, ausgenommen davon sind der Peter-Behrens-Bau & der Oelchenshammer.

Grafik Industrieanlage

Schildkröt-Puppe „Mädi“

1953

Stehpuppe "Mädi" mit blonden Zöpfen und blauen Augen

Stehpuppe „Mädi“, Rheinische Gummiwaren und Celluloidfabrik-Schildkröt Mannheim, 1953 (Entwurf 1923), Cellulosenitrat (Celluloid), 16,8 x 11,5 x 5,5 cm, Inv.-Nr.: K-2008-00018 © LVR-Industriemuseum, Foto: Jürgen Hoffmann

Bis zur Wende zum 20. Jahrhundert waren Puppen mit Köpfen und Gliedmaßen aus Porzellan teure und empfindliche Luxusprodukte. Mit dem neuen Werkstoff „Celluloid“, der 1870 in den USA patentiert wurde, begann sich der Markt für Spielwaren grundlegend zu verändern.

Eine führende Rolle spielte dabei die Rheinische Gummi- und Celluloid-Fabrik (RGCF) in Mannheim. Unter dem Markennamen „Schildkröt“ stellte sie ab 1896 Puppen im Blasformverfahren her. Man legte Röhren aus Celluloid in Formen aus Bronze, die erhitzt und unter hohem Druck geschlossen wurden. Dann blies man heißen Wasserdampf in die Form, sodass der Kunststoff weich wurde und das Innere der Form wie ein Ballon ausfüllte. Dieses „Pressblasen“ erlaubte eine große Vielfalt an Formen und ermöglichte die industrielle Massenherstellung. Die Puppen aus dem neuen Material waren abwaschbar und wurden explizit als unzerbrechlich beworben. So stieg die RGCF schnell zum Marktführer für Spielwaren aus Celluloid auf.

In den wirtschaftlich schwierigen Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg produzierte das Unternehmen neben den klassischen Puppenmodellen mit beweglichen Köpfen und Gliedmaßen eine Vielzahl von bemalten Standpüppchen. Ihre Herstellung war unkompliziert. Man fertigte eine Vorder- und eine Rückseite, die miteinander verklebt wurden. Unterschiedliche Farben des Materials und die Bemalung ermöglichten die Produktion zahlreicher Variationen.

„Mädi“ wurde wie ihr männliches Pendant „Bubi“ 1923 auf den Markt gebracht und bis 1957 produziert. Die Körper des Mädchens und des Jungen mit ihren beweglichen Armen sind identisch, nur an den Köpfen mit den unterschiedlichen Frisuren lassen sich die Geschlechter unterscheiden. „Mädi“ ist ein typisches Kind der 1920er Jahre. Die Haare sind zwar über den Ohren zu braven Schnecken gedreht, der Rest des Nackenhaares aber ist hochgeschlagen und wird von einer kecken roten Schleife auf dem Scheitel gebändigt. Dazu verleiht die Bemalung dem Gesicht einen besonderen Ausdruck: Der Blick zur Seite und ein breites freches Lächeln lassen die Figur munter und verschmitzt erscheinen. In der Version mit aufgemalter Kleidung trägt „Mädi“ ähnlich wie „Bubi“ ein kurzes Höschen. Die beiden Stehpuppen sind von den erfolgreichen Kewpie-Puppen inspiriert, die die amerikanische Zeichnerin Rose O’Neill erfunden hatte und ab 1913 in Deutschland herstellen ließ.

Mit „Mädi“ wollte der Hersteller sicher keine emanzipatorische Gesinnung zum Ausdruck bringen. In der kleinen Puppe mit dem ausdrucksvollen Gesicht zeigt sich aber doch ein leiser Widerhall der zeitgenössischen Veränderungen in der Wahrnehmung und Rolle der Frau. Während die großen klassischen Puppenmodelle wie „Inge“, „Bärbel“ oder „Hans“ einen niedlich-neutralen Gesichtsausdruck aufweisen, erscheint „Mädi“ als freche Seitenlinie in der ansonsten untadeligen „Schildkröt“-Puppenwelt.

Weitere Informationen zur Ausstellung „nützlich & schön. Produktdesign 1920-1940“

Uta Scholten


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