2018 schließt die letzte Steinkohlenzeche Deutschlands. Dieses Ereignis hat Symbolcharakter in Zeiten der „Energiewende“. Das LVR-Industriemuseum zeigt aus diesem Anlass in der Zinkfabrik Altenberg die Sonderausstellung „Energiewenden – Wendezeiten“. Sie blickt zurück auf die deutsche Steinkohle und betrachtet umfassend Möglichkeiten, Chancen und Risiken des Wandels von Energiesystemen.
Für das Ruhrgebiet enden derzeit zwei bewegte Jahrhunderte einer auf Kohle basierenden Geschichte. Global ist das Zeitalter der Kohle aber noch in vollem Gange: Die weltweite Förderung hat Ausmaße erreicht, gegen die selbst einstige Höchstfördermengen des Reviers marginal erscheinen. Diese Entwicklung ist in Zeiten des Klimawandels nicht zukunftsfähig.
Bezugsraum der Ausstellung ist die Energielandschaft an Rhein und Ruhr. Sie illustriert mehr als jede andere europäische Region, wie die intensive Nutzung von Energieressourcen eine Kulturlandschaft prägt. Hier schlägt seit 200 Jahren das Herz des deutschen Energiesystems, wurden Machtkämpfe um Kohle, Öl und Kernkraft ausgetragen. Diese Region hat einige „Energiewenden“ erlebt und steht mit der aktuellen Energiewende wieder vor tiefgreifenden Umwälzungen. Davon erzählen Relikte und Landmarken – Mühlen und Stauseen, Halden, Tagebaue, Schornsteine und Kühltürme in der Region. Aber auch globale Aspekte der Energie kommen in der Ausstellung zur Sprache.
Die Ausstellung
Auf über 900 Quadratmetern erzählt die Ausstellung die spannende Geschichte der Energie an Rhein und Ruhr als eine Abfolge von „Energiewenden“: von Umwälzungen des Energiesystems, die damals wie heute große Folgen für Mensch, Gesellschaft und Umwelt hatten. Die Ausstellung blickt auch in Gegenwart und Zukunft der aktuellen Energiewende, die mehr und mehr auch im einstigen Revier der Kohle in Fahrt kommt: In einer Zukunftswerkstatt stellt sie vielversprechende Projekte und Ansätze aus der Region vor, die den Weg in eine Zukunft ohne fossile und nukleare Energien weisen.
Kohle und Dampfmaschine begründen die erste Energiewende, die Jahrtausende einer auf Wind, Wasser und Sonne beruhenden vorindustriellen Wirtschaft beendete: Sie brachten das Zeitalter der Fabriken so richtig in Schwung und schufen eine Industrielandschaft der rauchenden Schornsteine. Wucht und Macht des neuen Energiesystems vermittelt in der Ausstellung die 150 Jahre alte, über zehn Meter lange original erhaltene Pleuelstange der Dampfmaschine der Zeche Oberhausen. Damit begann einst das fossile Zeitalter, in dem wir bis heute leben.
Am Netz
Um 1900 sehen sich die Menschen schon wieder am Beginn eines neuen „Zeitalters der Energie“: die faszinierende neue Elektrizität lässt die Städte nachts erstrahlen und bringt saubere Energie in jedes Haus. Eine noch nie dagewesene großtechnische Infrastruktur aus Talsperren, Großkraftwerken und Leitungsnetzen entsteht, die in ihren Grundzügen das ganze 20. Jahrhundert überdauern sollte und erst durch die jüngste Energiewende ins Wanken kam. Noch heute aber ist die Elektrifizierung, auch das zeigt die Ausstellung in einem globalen Ausblick auf Energie, ein Versprechen auf eine bessere Zukunft.
Im Überfluss
Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte Energiemangel, der in wenigen Jahren in eine Ära des Energieüberflusses, von Wirtschaftswunder und Massenkonsum umschlagen sollte. Fuhren zunächst die Kohlekumpel im Revier noch Sonderschichten für den Wiederaufbau, brachte das sprudelnde Erdöl und billige Braunkohle aus den Großtagebauen sogar die zuvor so begehrte Ruhrkohle schnell ins Abseits. Die Exponate und Dokumente aus dieser Zeit muten heute nostalgisch an, doch mit ihnen etablierte sich genau der energiehungrige Lebensstil auf Basis fossiler Energien, den wir bis heute weiterführen. Ein Preis dafür waren die 38 Dörfer bzw. Siedlungen, die bis heute umgesiedelt wurden im Rheinischen Revier.
Strahlende Zukunft?
Eine Episode bleibt die „nukleare Wende“: Gerade NRW brach einst mit großen Visionen in ein Schlaraffenland billiger, unerschöpflicher Atomenergie auf. Es wollte in Hamm und Kalkar die weltweit modernsten Reaktoren bauen, dabei der Montanindustrie und sogar der heimischen Kohle als Rohstoff eine neue Zukunft sichern.
Warum dieser Versuch des Aufbruchs in ein nachfossiles Energiezeitalter scheiterte, zeigen eindrückliche Dokumente aus dem gesellschaftlichen Widerstand in der Region, etwa gegen den Schnellen Brüter in Kalkar.
Die in der Ausstellung in Teilen aufgebaute Leitwarte eines Atomkraftwerks wirft die Frage nach der Beherrschbarkeit dieser Technologie auf, die die Gesellschaft letztlich verneinte.
Die Energiewende
1980 wurde erstmal eine „Energiewende“ propagiert. Heute stecken wir mittendrin, doch ist diese Wende noch lange nicht abgeschlossen: Die Ausstellung erzählt deren Anfänge anhand beispielhafter Geschichten von Pionieren, wie den „Windwerkern“ – engagierten Bastlern, die in den 1980er-Jahren ihre Energiezukunft selbst in die Hand nehmen wollten und Windräder entwickelten –, oder von der „Solarstadt Gelsenkirchen“, die schon wieder Vergangenheit ist. Auch Rückschläge gehören zu einer Energiewende.
Die Ausstellung will und kann keinen Überblick über die vielschichtig-komplexe Energiewende heute leisten, auch keine Bilanz ziehen – dafür ist es viel zu früh. Sie zeigt die großen Herausforderungen, die sich mit ihr stellen und macht sie in interaktiven Installationen anschaulich verständlich. Sie will zum Nachdenken und zum Mitmachen anregen, die Besucherinnen und Besucher auch daraufhin befragen, wie sie selbst zur Energiewende stehen.
Die Ausstellung blickt an einer zentralen Globusinstallation auch über den Tellerrand der Region in die Welt – in andere Länder, die sich teils andere „Energiewenden“ vorgenommen haben, auf andere beispielhafte Projekte, die aktuell rund um den Globus sich entwickeln.
Zukunftswerkstatt und Forum
Das Ende der Ausstellung ist ein offener Forumsbereich, in dem sich im Wechsel aktuelle Projekte aus Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft der Region vorstellen: Projekte, die die Wende voranbringen wollen und Mut machen, selbst aktiv zu werden. Die Akteure der Projekte werden hier auch selbst im Rahmen von Veranstaltungen ihre Projekte vorstellen und Rede und Antwort stehen. Parallel dazu können Besucherinnen und Besucher in der Zukunftswerkstatt auch ihre eigene Zukunftsvision für die Energiewende skizzieren.
Das Zentrum der Ausstellung bildet eine etwa 70 Quadratmeter große, begehbare, interaktive Karte der Rhein-Ruhr-Region: Hier kann man die Energielandschaft Rhein-Ruhr im Gehen erforschen und sich die Orte der Energie in der Kulturlandschaft mittels eines Tablets erschließen. Besucherinnen und Besucher können diese Karte selbst ergänzen, mit eigenen Bildern, die zeigen, wie sich die Energielandschaft derzeit verändert, oder auch mit Bildern von Relikten früherer Energiewenden, die sie in ihrer Heimatregion entdecken.
Erstmals bieten wir allen Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung die Möglichkeit, sich diese mit einem Tablet näher zu erschließen: Mit dem Tablet lässt sich nicht nur die zentrale Karte der Energielandschaft Rhein-Ruhr interaktiv erschließen, sondern lassen sich auch an ausgewählten Stellen der Ausstellung vertiefende Informationen zu einzelnen Exponaten und Installationen abrufen.